Wolfgang Ullrich: Wir wollen uns über Ihre Werkgruppe „Genius Loki.“ unterhalten, an der Sie seit nun rund drei Jahren arbeiten. Sie besteht aus einem immer noch weiter wachsenden Zyklus an Gemälden, in dem Sie etwas entwickeln, das man der Gattung der ‚privaten Mythologie‘ zuordnen könnte – so wie sie seit den 1960er-Jahren von zahlreichen Künstler:innen betrieben wurde.

Es geht darum, für das eigene Leben wichtige Motive zu identifizieren, miteinander in Beziehung zu bringen und symbolisch zu überhöhen. Einer der ersten Teile des Zyklus ist ein Diptychon („Genius Loki (Klever Skizze 2)“), dessen rechte Tafel ein Selbstporträt zeigt. Da sieht man Sie jedoch nicht lebensecht, sondern Sie wirken zum Teil, als wären Sie eine Skulptur. Und aus Ihrer Stirn kommen zwei Hörner. Die Augen, mit denen Sie uns Betrachter:innen fixieren, muten hingegen ganz real an. Das alles zusammen macht einen ziemlich unheimlichen Eindruck. Jedenfalls zeigen Sie sich nicht als jemand, dem man vertrauen würde. Vielmehr will man auf Distanz gehen, genau hinterfragen, was da los ist. Und dass Sie Ihrem Gegenüber einen kleinen Apfel offerieren, verstärkt das Misstrauen noch. Sollen wir hier – von einem Teufel statt von Eva – verführt werden, müssen dafür aber dann umso mehr büßen?

Ich frage mich, warum Sie sich hier als gefährliche, unsympathische Figur in Szene setzen. Und zudem als jemand, der auf den ersten Blick eine überraschend starke Ähnlichkeit zu Donald Trump aufweist?

René Schoemakers: In der Tat ist in dieser Arbeit ein Element umgesetzt, das in der gesamten Serie immer wiederkehrt. Es geht tatsächlich um die Assoziation „Holzskulptur“. Die Serie „Genius Loki“ führt mich zurück an den Niederrhein, wo ich aufgewachsen bin, eine sehr katholische Gegend. Und in den Kirchen sieht man häufig Plastiken, die nicht farbig gefasst sind, sondern lediglich lackiert oder gebeizt sind.

Nach der Serie „Weltgeist“, die unmittelbarer ins Politische ausgreift, mache ich bei „Genius Loki“ einen Schritt zurück. Aber nur, um im eher privaten Nahfeld dann doch wieder Allgemeines aufzugreifen. Wo ich in „Weltgeist“ ideologische Verblendung im eher politischen Bereich thematisiert habe, so in „Genius Loki“ eher im allgemein Weltanschaulichen. Und das war zunächst einmal das selbstverständliche katholische Milieu.

Aber Ihre Assoziation „private Mythologien“ trifft es sehr gut. Man kann annehmen, dass der Begriff „privat“ heute vielleicht etwas argwöhnisch aufgenommen wird, man vielleicht die direkte Bezugnahme, das eindeutige, fast aktivistische Stellung -Beziehen bevorzugen würde. Aber ich denke, dass Kunst immer dann besonders zur Auseinandersetzung reizt, wenn sie offensichtlich die Auseinandersetzung mit einem individuellen Blick auf die Welt fordert. Sonst könnte man auch allgemeine Thesenpapiere austauschen.

Deshalb die offensichtliche Ambivalenz oder Doppelbödigkeit in meinen Bildern. Das Individuum ist immer erkennbar. Aber es ist immer auch erkennbar in einer Rolle im Bild. Die naturalistische Malerei macht dies dann für den Betrachter wahrnehmbar.

An Donald Trump dachte ich dabei weniger. Aber jetzt, wo Sie es erwähnen, finde ich diese Deutung auch sehr lustig. Meine Idee war, dass ich als „Loki“, also als „Trickster“ erscheine. Der Künstler als Verführer, der auf falsche Fährten lockt. Wobei das bei Trump eher unkontrolliert passieren dürfte…

Die Distanz, die Sie wahrnehmen, ist allerdings genau so intendiert. Ich halte Immersion nicht für eine besonders glückliche Eigenschaft von Kunst. Immersion ist letztlich immer mit der Illusion von Unmittelbarkeit erkauft.

Wolfgang Ullrich: Da kann ich Ihnen nur zustimmen! Mir gefällt es gerade, dass Sie sich beim Publikum nicht einschmeicheln, sondern vor sich selbst als einem Trickster warnen, damit aber auch eine ganz bestimmte Rezeptionshaltung vorgeben: Man soll Ihren Bildern möglichst analytisch-kritisch begegnen, detektivisch darauf achtend, wo man vielleicht verführt oder getäuscht wird. Man könnte auch sagen, Ihr Selbstporträt zeigt Sie als Platoniker, war es doch Platon, der Fiktion mit Lüge gleichsetzte und in dem, was Maler und Dichter tun, immer schon eine Täuschung, ja etwas Gefährliches erblickte. Dass Sie aber als Maler selbst eine solche Auffassung propagieren, ist überraschend und mutig. Immerhin kritisieren Sie damit Ihr eigenes Metier.

Oder wollen Sie umso mehr Souveränität zeigen als jemand, der sein schärfster eigener Kritiker ist? Jedenfalls fragt man sich, wie gebrochen oder ungebrochen Ihr Verhältnis zu sich als Maler ist.

René Schoemakers: Mein Verhältnis zu Bildern ist ambivalent. Sie haben große Macht, aber man kann ihnen nie trauen. Sie verweisen immer auf sich selbst und auf anderes zugleich. Die Malerei war für mich immer das beste Mittel, um solche Bilder herzustellen. Das gemalte Bild ist erkennbar materielles Objekt, Gemachtes und meint doch gerade als Abbild auf etwas jenseits des Bildobjekts. Die Fotografie erzwingt beim Betrachter immer eine gänzlich andere Rezeptionshaltung. Auch wenn man um Bildmanipulation und Bildgeneration weiß, bleibt die Idee des Lichtstrahls vom Objekt durch die Linse zum Auge bzw. fotografischem Abbild. Beim gemalten Bild ist die implizite Grundvorstellung die leere Bildfläche und dann die Hand der malenden Person. Das ist ein anderes rezeptives Apriori.

Historisch fand ich die Malerei immer auch deshalb interessant, weil sie alle möglichen Formen bildlicher Repräsentation in ihrer Geschichte entwickelt hat und alle konkurrierenden Abbildungsmedien integriert hat. Man kann so ziemlich alles in Malerei überführen und hat überdies den Aspekt des Materials.

Was mich nie interessiert hat, waren die Diskussionen um den Wert der Malerei als „Königsdiziplin“. Auch Vorstellungen von „mit der Malerei gegen die Malerei malen“ kamen mir immer prätentiös und im schlechten Sinne „akademisch“ vor. Wenn man in den 90er Jahren an der Kunsthochschule in eine klassische Malklasse wechselte, war man ganz am Ende der Nahrungskette. Alle anderen Medien waren höher angesehen.

Vielleicht war es nicht besonders klug von mir, eine Art von Malerei zu beginnen, die mit ihrem sinnlichen Überredungspotenzial viele Betrachter auf die Idee brachte – und bringt – , dieser Aspekt sei der eigentliche Kern meiner Malerei. Der Naturalismus meiner Malerei ist aber nur ein technisches Mittel, der fast immer nachlässig gebaute Inszenierungen höchst präzise abbildet. Insofern wäre ich im Sinne Platons ein Lügner im Quadrat. Aber vielleicht ist das gerade die Position größtmöglicher Wahrheitsnähe. Ich weiß auch gar nicht, ob „Malerei“ wirklich mein Metier bzw. kollegiales Milieu ist. Ich kann nicht behaupten, dass gerade malende Kolleg:innen mich begeistert umarmen. Da ist oft Skepsis. Andererseits bin ich den nicht malenden Kolleg:innen auch verdächtig – als Maler…

Wolfgang Ullrich: Gerne greife ich auf, dass Sie sich im Sinne Platons als Lügner im Quadrat bezeichnen. So sind nicht nur die Bilder als solche ‘Fake’, sondern Sie malen auch noch Attrappen – also Gegenstände, die etwas anderes vortäuschen, als sie sind, und die Sie selbst nur bauen, um sie dann abmalen zu können.

In gewisser Weise ist Ihre Praxis damit der eines Fotografen wie Thomas Demand vergleichbar, der die Motive seiner Bilder auch zuerst baut und dabei gar keine perfekte Täuschung anstrebt, sondern will, dass man die Illusion als solche auch noch sehen kann. Innerhalb Ihres Zyklus “Genius Loki” gibt es etwa ein Gemälde, auf dem eine Frau – die zentrale Protagonistin – unter Maßwerk sitzt, wie man es aus gotischen Kirchen kennt. Das Maßwerk aber ist ersichtlich nicht aus Stein, sondern aus Karton ausgeschnitten und mit Wäscheklammern aufgehängt, die Sie auch noch mit malen. Sie dekonstruieren also das, was Sie konstruieren – dies eine typisch postmoderne Methode. Und wieder eine Strategie, um Ihr Publikum zu mehr Misstrauen zu erziehen – dazu, sich einen detektivischen Blick anzugewöhnen, um auch noch die Illusion hinter der Illusion als solche zu identifizieren.

Diese Strategie aber steht gegen die gesamte Moderne, in der man sich als Betrachter:in ja möglichst klein machen sollte gegenüber der Autorität des Kunstwerks, ja in der man sich dessen Autonomie anvertrauen und unterwerfen sollte. Wie sehen Sie sich selbst als Maler denn eigentlich zwischen Moderne und Postmoderne?

René Schoemakers: Ein Bild kann für einen Betrachter eine außerordentliche Erfahrung ermöglichen. Es kann zu unterschiedlichsten Reaktionen führen, Reflexionen in Gang setzen, Emotionen hervorrufen. Und doch bleibt dies alles profan. Das soll aber nicht abwertend verstanden werden. Es geht um menschliche Erfahrungen, Deutungen und Perspektiven im Kunstwerk. Und mehr als diese Erfahrungen, Deutungen und Perspektiven haben wir nicht. Und weil diese allgemein menschlich sind, kann es auch keine Hierarchie zwischen Betrachter:in und Werk bzw. Künstler:in geben, da es zwischen Menschen per se keine Hierarchien geben kann.

Wenn Moderne Kunst also mit einem solchen hierarchischen Verständnis verbunden sein sollte, dann wäre das nicht passend in Bezug auf meine Arbeit.

Man kann andererseits natürlich die dekonstruktiven Züge meiner Arbeit als postmodern klassifizieren. Aber Narrative und Metanarrative als solche sichtbar zu machen, erlaubt ja eben nur einen reflexiven Zugriff auf diese. Jeder weiß, das Märchen Märchen sind. Und trotzdem erfüllen Märchen Funktionen, die man positiv sehen kann. Und wenn man weiß, inwiefern Märchen Märchen sind, kann man andere, neue Märchen den alten Märchen hinzufügen.

Wahrscheinlich sind Fiktionen (ein freundlicherer Begriff als Illusionen) unvermeidlich und in gewissem Sinne auch gut für unser Selbst- und Weltverständnis. Nachdem ich mich mit – vornehmlich rechten – ideologischen Narrativen beschäftigt habe, stehen in „Genius Loki“ unter anderem Fiktionen im Vordergrund, mit denen ich in jungen Jahren am Niederrhein konfrontiert war. Einem sehr dominanten und unhinterfragten Katholizismus etwa. Aber es geht dabei nicht zwingend um Traumata oder Kritik. Eher darum, im Bild herauszufinden, was es damit auf sich hat. Schon vor zwanzig Jahren wurde über meine Arbeiten geschrieben, sie seien „gemalte Performances“. Ich würde eher sagen es sind Reenactments zur Erkenntnisförderung. Daran lasse ich Betrachter:innen teilhaben. Und die steigen da ein, wo sie selbst jeweils stehen.

Also ja: ich verorte mich eher postmodern. Aber unter dem Vorbehalt, dass manche Narrative schlüssiger sind als andere und dass Objektivität nicht prinzipiell illusionär und repressiv ist. Es gibt objektive Sachverhalte. Über die Deutungen und Bewertungen lässt sich diskutieren. Dazu trage ich mit meiner Arbeit vielleicht meinen Anteil bei.

Wolfgang Ullrich: Ihr Plädoyer gegen Hierarchien, ja Ihr dezidiert profaner Kunstbegriff gefällt mir sehr gut. Da agieren wir offensichtlich auf derselben Grundlage. Und mit postmoderner Haltung fällt es leichter, Narrative und Spielarten von Fiktionalisierung als solche zu erkennen – und vor allem anzuerkennen, dass es sich dabei nicht nur um Oberflächenphänomene handelt, unter denen sich das Eigentliche und Wesentliche verbirgt, sondern dass das das einzige ist, was zur Diskussion und zur Disposition steht. Interessant finde ich, wie Sie nun die Analyse von Narrativen angehen. Klar dürfte sein, dass dafür ein einziges Bild nicht genügt, aber offenbar steht für Sie auch nicht von vornherein fest, wie viele Bilder Sie brauchen, bis Sie das erhellt haben, was für Sie wichtig ist.

Oder wie ist das bei “Genius Loki”? Ergibt sich aus einem Bild ein nächstes? Oder stehen die Grundmotive von Anfang an fest und in der Ausführung kommt es nur noch zu Ausdifferenzierungen? Oder wie darf man sich einen solchen Werkprozess bei Ihnen vorstellen?

René Schoemakers: „Genius Loki“ beginnt mit dem schon erwähnten Selbstporträt als Trickster. Im Vorfeld war mir klar, dass ich wieder etwas näher zur eigenen Person zurückwill. Das kam zufällig, als mir auffiel, dass ich schon ganz zu Anfang, Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre noch als Schüler auch in Arbeiten Bezug genommen habe auf rechtes Gedankengut. Das aber speziell auch in Bezug auf Kleve, wo ich herkomme. Also wollte ich ganz zurück und durchspielen, was mich mit Kleve verbindet.

Und da ist diese frühe Prägung durch ein selbstverständliches katholisches Milieu, die unausweichliche Figur Beuys, der dieselbe Schule wie ich besucht hat, nur 50 Jahre früher, und die Tatsache, dass ich von 1987 an in einer Zweierkonstellation Maler-Modell operiert habe, sodass diese Konstellation, die ja auch kunsthistorisch in den unterschiedlichsten Varianten durchgespielt wurde, ebenfalls ein Aspekt dieser Serie sein würde. Ich gehe aber immer vom Sichtbaren aus, ohne genauen Plan, und sammle Assoziationen und Motive. Das ist keine systematische Recherche, sondern ein Anhäufen von Material, meist Bilder, aber auch Texte, das immer wieder durchgesehen und erweitert wird, bis sich Knotenpunkte bilden, die zu Bildideen werden. Diese werden nach und nach konkreter, und irgendwann ist die erste Idee soweit geklärt, dass ich an konkrete Vorarbeiten gehen kann. Meistens stehen drei, vier Bildideen fest. Während diese dann genauer vorbereitet und ausgeführt werden (was ja eine Weile dauert), gehe ich das Material immer wieder durch, füge neues hinzu, sodass es ein organisches Wachsen ist, das von einigen regulativen Ideen gelenkt wird. Aber am Ende entscheidet immer die visuelle Kraft einer Bildidee, wo es lang geht. Wichtig ist, dass man nicht vergisst, dass die Vorstellungskraft nur begrenzt ist. Deswegen ändert sich oft auch noch vieles beim Anfertigen der Vorarbeiten und natürlich auch bei der Arbeit mit dem lebenden Modell. Danach kommt die Phase der digitalen Vorarbeit, der Anlage auf der Leinwand und der Ausführung, der eigentlichen malerischen Umsetzung. Auch da ändert sich oft noch etwas. Gerade die lange Phase der handwerklichen Vorarbeiten gibt viel Raum, um Bildvorstellungen zu klären oder zu verändern.

Interessanterweise kommt es eigentlich nie vor, dass ich Ideen für genau eine Arbeit entwickle. Genauso häufig greife ich Aspekte älterer Arbeiten oder Serien wieder auf und kontextualisiere sie neu. Ich versuche zwar, jedes Bild überzeugend und sinnlich fesselnd zu gestalten, aber wer die Serie bzw. die Serien kennt, hat mehr davon.

Bei „Genius Loki“ ist jetzt ungefähr „Halbzeit“. Erste Arbeiten waren in der letzten Ausstellung in der Galerie zu sehen, jetzt ein weiterer Teil. Aber der ganze Komplex „Beuys“ steht noch aus. Dazu gibt es bisher nur die „Adorationskiste“ als Gegenstück zur „Intuitionskiste“ von Beuys. Außerdem bezieht sich die Landschaft der linken Hälfte des erwähnten Selbstporträts auf Beuys wie auf meine Biographie. Insofern hätte man hier eine Art thematisch verdichtete Keimzelle der Serie.

Wolfgang Ullrich: So wie Sie Ihre Arbeit an einer Serie beschreiben, könnte ich eigentlich auch die Arbeit an einem Buch beschreiben. Man hat zuerst ein paar Motive, um die herum sich dann nach und nach mehr Stoff ansiedelt, in der weiteren Arbeit kommen noch ganz neue Motive hinzu, anderes verliert vielleicht auch an Bedeutung. Doch während beim Schreiben am Schluss ein einziger Text steht, endet die Arbeit bei Ihnen mit einem Plural formal höchst unterschiedlicher Bilder. Und nicht nur das: Zu einer Serie können, wie im Fall von “Genius Loki”, auch Objekte gehören – so wie die “Adorationskiste”. Also sind die Teile Ihrer Arbeit viel heterogener als bei einem Theoretiker oder Autor. Und ich frage mich, wie ich diese Heterogenität deuten soll.

Oder als Frage an Sie gerichtet: Warum bleiben Sie nicht im Medium der Malerei? Sie könnten z.B. eine solche Kiste doch auch malen – warum also muss es sie aus Holz geben?

René Schoemakers: Eine Antwort auf Ihre Frage könnte darin liegen, dass ich vor über 30 Jahren eigentlich in allen möglichen Gattungen oder Medien angefangen habe, etwas zu produzieren. Schon sehr früh, mit elf oder zwölf Jahren war der Drang stark, etwas zu gestalten, das eine Interpretation oder Version von Wirklichkeit enthält. Ich habe mir ein Büro eingerichtet, um eine fiktive Zeitung zu produzieren mit gänzlich ausgedachten, ziemlich absurden Geschichten. Nach und nach habe ich alle möglichen Mittel genutzt, alles was mir in die Finger kam. Ich habe geschrieben, gezeichnet, fotografiert und Musik gemacht, Sie haben die Gitarren und den Verstärker bei Ihrem Besuch im Atelier gesehen. Noch heute würde ich am liebsten in allen Bereichen so intensiv arbeiten wie in der Malerei. Aber der Tag hat nur 24 Stunden. Warum dann die Malerei das Rennen gemacht hat, kann ich selbst gar nicht so genau sagen. Man kann es allein machen, es hat eine handwerkliche Seite – ich weiß es nicht genau.

Andererseits muss ich sagen, dass ich von Anfang an immer auch Werke hatte, wo die Malerei eher Objektcharakter hatte im Raum und nicht lediglich als Fenster in einen virtuellen Raum. Meine Abschlussarbeit an der Kunsthochschule war eine Rauminstallation mit gemalten Bildern. Und sehr früh – aber eher mit einem vorwurfsvollen oder herausfordernden Unterton – kam die Frage auf, ob ich denn „nicht genügend Vertrauen in die Malerei allein“ hätte.

Aber das ist keine Kategorie für mich: „die Malerei“. Ich arbeite mit Bildern und oft erscheint mir die Form des gemalten Bilds das geeignete Medium, oft aber auch Kombinationen von Leinwandbildern mit Zeichnungen und anderen, auch dreidimensionalen Teilen. Auch „Genius Loki“ hat ja einige Arbeiten, wo das der Fall ist, neben der „Adorationskiste. „co|re work #1“ hat neben den Leinwänden einen Rahmen mit einer dreidimensionalen Figur und eine bedruckte Holztafel. Aber das ist lediglich die Fortsetzung dessen, was die bemalten Leinwände zeigen. Wir haben unterschiedliche Idiome oder Zeichensysteme: den naturalistischen Malstil, eine kindliche Malerei und auf der bedruckten Tafel eine comicartige Darstellung. Überdies befindet sich die gemalte Person auf der größeren Leinwand noch in einer hinteren Ebene, die sich hinter einer Glasscheibe im Bild befindet. Gleichzeitig sind alle Motive und Ebenen nicht irgendwo vorgefunden, sondern kommen aus dem persönlichen Umfeld. Auch der „Comic“ basiert auf Zeichnungen von mir, die ich digitalisiert habe, um mit ihnen so weiterarbeiten zu können. Und letztlich setzt sich das im Titel fort. Auch hier ein Aufbrechen bzw. Übereinanderlegen von Ebenen. „co|re work“ kann „core work“ „co-work“ und „rework“ gelesen werden. Komplexitätsreduktion und Ermöglichung des Realitätsbezugs durch Komplexitätssteigerung des Werks. („Genius Loki“ ist ja auch kein Tippfehler oder schlechtes Latein…)

Bei der „Adorationskiste“ war es wahrscheinlich so, dass ich eine Kiste wollte, die eine ähnliche Größe hat wie die „Intuitionskiste“ von Beuys, um den Bezug zu verdeutlichen. Auch wollte ich mindestens ein reales Stück aus Holz in der Serie haben, um den Bezug deutlich zu machen. Hierin treffen sich ja die mittelalterlichen Holzskulpturen und die Kiste von Beuys. Zuletzt sollte der Schriftzug „Adoration“ tatsächlich leuchten, als größtmögliche Umkehrung der sehr zurückgenommenen Bleistiftschrift bei Beuys.

Jedenfalls fühle ich mich nicht als Standesvertreter in Sachen Malereitradition oder als Lordsiegelbewahrer der Malereigeschichte. Und wenn jemand die Qualität meiner Malerei lobt, dann ist mir das meistens lästig. Denn darum geht es nicht. Das ist Mittel zum Zweck.

Wolfgang Ullrich: Dann lassen Sie uns aber doch noch etwas genauer über den Zweck sprechen – den Zweck, den Sie gerade mit dem Zyklus “Genius Loki” verfolgen! Dass es Ihnen darum geht, Ihrem Publikum eine bestimmte Weltsicht oder Welterfahrung nahezulegen, scheint es mir eher nicht zu treffen. Dafür sind Ihre Arbeiten zu verschlossen, zu voraussetzungsreich, und selbst der detektivische Blick, über den wir schon sprachen, kommt ja nicht unbedingt zu einem klaren Ergebnis.

Dass es Ihnen nur um eine Selbstergründung geht, Sie sich also gleichsam in einer Art von Selbstgespräch befinden, an dem wir als Betrachter:innen bestenfalls wie Zaungäste partizipieren, kann ich mir aber auch nicht vorstellen. Was sollte denn aus Ihrer Sicht bestenfalls passieren, wenn sich ein:e Rezipient:in mit gewisser Ausdauer und Kunsterfahrung “Genius Loki” (oder auch einer anderen Ihrer Serien) widmet?

René Schoemakers: „Zweck“ ist natürlich ein gefährlicher Begriff. Er impliziert im Zusammenhang mit meiner Arbeit hier keine Zweck-Mittel-Relation, die die Betrachter:innen mit einbezieht. Mit „Zweck“ meinte ich eben den Zusammenhang einer bestimmten künstlerischen Intention, die mit dem Mittel der Malerei oder dem des Ausdruckstanzes besser oder schlechter umgesetzt werden kann. Wobei man sicher nicht davon ausgehen kann, dass sich die künstlerische Intention losgelöst von medialen Überlegungen bildet. Mir ging es zunächst darum, deutlich zu machen, dass meine Überlegungen oft an Malerei gebunden sind, weil ich die Möglichkeiten des Mediums schätze. Nicht das Medium an sich.

Aber Ihre Frage geht offensichtlich darüber hinaus. Ich will die in den Arbeiten der Serie repräsentierte Welterfahrung niemandem schlicht nahelegen oder zur Übernahme empfehlen. Wie bereits erwähnt, ist es selbst eine dekonstruierte Weltsicht, also eine Sicht auf eine Weltsicht. Insofern öffnet sich hier schon ein Raum, in dem sich Betrachter:innen bewegen können, ohne zwingend etwas „übernehmen“ zu müssen. Im Kunstwerk begegnen sich jeweils zwei subjektive Vorstellungen (von Vorstellungen), vermittelt durch das Werk. Insofern ist die klischeehafte Frage danach, „was uns der Künstler damit sagen will“, völlig zweitrangig. Im Werk begegnen Betrachter:innen bestimmten Strukturen und Zusammenhängen, die als Repräsentationen bestimmter Vorstellungen in Bezug auf die Welt aufgefasst werden können. Dazu kann man sich verhalten. Ablehnend, zustimmend, interessiert, gelangweilt, fasziniert oder euphorisch. Darüber habe ich keine Kontrolle und strebe sie auch nicht an.

Man kann es eher als ein Gespräch begreifen, in dem eine bestimmte Geschichte erzählt wird, auf die die Betrachter:innen reagieren können. Zwar gibt es hier eine unleugbare Hierarchie, denn es gibt erst das Werk, dann die Betrachtenden, die dann zumeist für sich im Stillen reagieren. Aber mehrere Rezipient:innen können in ein reales Gespräch übergehen angesichts des Werks oder – da Soziale Medien die erwähnte Hierarchie zumindest teilweise einebnen – mit eigenen Kreationen auf ein Werk reagieren. Im Bereich der Literatur gibt es das Phänomen Fan-Fiction. Im Bereich der bildenden Kunst weniger. Aber tatsächlich habe ich gelegentlich schon früher Zeichnungen in Kopie zugesandt bekommen, die Schulklassen als Reaktion auf meine Arbeit angefertigt haben. Oder einen Brief einer Klasse, wo man mich zu einem Workshop einlädt, nachdem man Arbeiten von mir in einer Ausstellung gesehen hat. Das hat es öfter gegeben.

Was mir bei „Genius Loki“ auffällt, ist z.B., dass dort wieder an mehreren Stellen das Phänomen von kulturellen Rollenzuschreibungen für Frauen thematisiert wird. Nicht nur bei der weiblichen Figur, die unter dem Maßwerk in einem Haufen Gegenstände sitzt, die allesamt Attribute weiblicher christlicher Heiligenfiguren sind. Auch die Figur, die hinter dem ikonischen „Coat Stand“ von Man Ray zu sehen ist, ist als Kommentar zu diesem Komplex zu betrachten. Denn aus heutiger Sicht ist die Arbeit schon ziemlich sexistisch. Das wird in „Genius Loki (Wiegenlidschlag)“ mehrfach gebrochen. Dasselbe trifft aber auch auf die männliche Figur zu. In dem Bild überlagern sich zahlreiche kunstgeschichtliche, aber auch popkulturelle Referenzen. Dem lässt sich „detektivisch“, wie Sie es beschreiben, nachgehen und es eröffnet sich sukzessive ein Raum reflexiver Bezugnahme. Wenn Betrachter:innen diese „Detektivarbeit“ schätzen und sich darüber hinaus auch durch die sinnliche Qualität der Malerei angesprochen fühlen, dann lohnt sich für sie die Beschäftigung. Sonst sehen sie sich eben nach anderer Kunst um. Dann hat es keinen Zweck…

Wolfgang Ullrich: Ihren Hinweis auf Fan-Fiction finde ich interessant. Die offene Form Ihrer Werkgruppen begünstigt es sicher, dass aktive Betrachter:innen das Gefühl haben können, sie könnten ihrerseits noch das ein oder andere Element anfügen, ja fortsetzen, was Sie initiiert haben. Dagegen steht allerdings, dass Ihre Kunst sehr anspruchsvoll ist, gerade weil hoch- und popkulturelle Referenzen gleichermaßen auftauchen, die meisten sich aber höchstens in einem Bereich halbwegs auskennen. Die Schnittmenge derer, die z.B. sowohl erkennen, worauf sich das ‘Loki’ im Titel bezieht, als auch Man Rays “Coat Stand” in ihrem Bildgedächtnis haben, dürfte ziemlich klein sein.

Ich frage mich, ob Sie nicht sogar mit Absicht und gewisser Systematik darauf achten, dass die Referenzen einer Werkgruppe möglichst heterogen und gerne auch mal etwas abgelegen sind. Aber warum? Wollen Sie letztlich vielleicht doch der Künstler sein, an den niemand herankommt? Der immer einen Vorsprung hat? Der damit auch überlegen ist?

René Schoemakers: Um einen wie auch immer gearteten „Vorsprung“ geht es sicher nicht. Wenn sich zwei Personen begegnen, hat die eine immer einen Vorsprung gegenüber der anderen durch die Zusatzinformation der jeweiligen Introspektion. Insofern weiß ich auch nicht, welches Wissen, welche Prägungen Betrachter:innen mitbringen. Ich muss diese Perspektiven akzeptieren. In diesem Sinne können sie auch nicht „falsch“ sein. Eher geistreich, witzlos, flach, ambitioniert, abseitig oder kenntnisreich. Sie können mehr oder weniger gut begründet sein, subjektiver oder eher um Allgemeingültigkeit bemüht.

Von meiner Seite her geht es nicht um Abstand, Vorsprung oder Überlegenheit. Bei der künstlerischen Arbeit schöpfe ich aus dem, was mich ausmacht und interessiert. Und so bilden die Arbeiten einen gewissen Hang zur Komplexität ganz natürlich ab. Komplexität beruhigt mich, Einfachheit beunruhigt mich. Reduktion heißt immer, dass man Komplexität auf Einfaches zurückführt. Das ist der Anfang aller Scheinlösungen und Ideologien.

Mir ist bewusst, dass die Referenzen meiner Arbeiten breit gestreut sind. Aber das bin ich. Im besten Fall nehmen Betrachter:innen das zum Anlass, mit auf die Reise zu gehen.

Ich lege den Arbeiten keine Gebrauchsanweisung oder einen Schlüssel bei. Ich kann auch selbst nicht alles auf den Begriff bringen. Vielleicht ist das Feld der Referenzen aber tatsächlich systematisch so breit, um der Gefahr der rückwärtsgewandten Gelehrsamkeit sowie der platten Gegenwartsverhaftetheit zu entgehen. Ich bin kein Traditionalist, will aber auch nicht nur an der Oberfläche gegenwärtiger Diskurse dümpeln.

Andererseits versuche ich, wenn es sich einrichten lässt, Künstlergespräche oder Führungen zu meinen Ausstellungen anzubieten. Oder Erläuterungen und Hinweise für das Team des Museums zusammenzustellen, die dann als Material für Führungen genutzt werden können.

Gerne biete ich vor allem Termine für Schulklassen an. Sie sind meist offener und neugieriger als habituelle Ausstellungsbesucher:innen.

Wenn ich wählen kann, ist mir insgesamt lieber, dass ein:e Kunsthistoriker:in oder Kunstwissenschaftler:in sich zu meiner Arbeit äußert. Gerne auch Schriftsteller, wie in meinem letzten Katalog. Zusammen mit den Bildern ergibt das dann auch ein umfassenderes Bild, in dem ich vielleicht selbst auch Neues erfahre.

Wolfgang Ullrich: Dass Komplexität Sie beruhigt, finde ich eine sehr wichtige Bemerkung. So wird nicht nur glaubhaft, dass es Ihnen bei den vielen und heterogenen Referenzen Ihrer Arbeit tatsächlich nicht um Einschüchterung des Gegenübers geht, sondern mir scheint diese Empfindung auch einmal mehr eine typisch postmoderne Haltung auszudrücken.

Komplexität wird zur Rückversicherung gegen vermeintliche Eindeutigkeiten, zum Remedium gegen Erstarrung und Ideologisierung. Eine auf die Spitze getriebene Komplexität ist zugleich eine exzessive Dekonstruktion. Und wenn ich Ihr Werk zu Beginn unseres Dialogs in die Tradition ‘privater Mythologie’ einordnete, muss ich das jetzt relativieren. Vor allem dekonstruieren Sie ja auch Motive, die Sie biografisch geprägt haben, es geht Ihnen nicht darum, eine geschlossene Erzählung mit einer eigenständigen Symbolwelt zu entwickeln, sondern im Gegenteil viel eher darum, jedes Motiv zu hinterfragen, in eine Position des Als-Ob zu bringen und dadurch auch zu entkräften.  Wo sich private Mythologen immer tiefer in ihre Welt einspinnen, besteht Ihr Ziel darin, sich davon unabhängiger zu machen, zumindest aber eine gehörige Distanz zu sich selbst zu entwickeln und zu halten. Oder können Sie sich in dieser Beschreibung nicht wiederfinden?

René Schoemakers: Doch, das trifft es sehr gut. Im Grunde genommen funktioniert das, was in meinem Werk als „private Mythologie“ gelesen werden kann, ebenso wie der Naturalismus meiner Malerei. Beides hat Werkzeugcharakter. Beides wird bewusst eingesetzt. Ich spiele individuelle Idiosynkrasien durch zu heuristischen Zwecken. Sie werden hervorgeholt und sind nicht das Bild, sondern im Bild. Deswegen auch der eher unübliche Naturalismus bis in die letzten Winkel des Bildes. Das ist dann eher ein Aufruf an die Betrachter:innen, genau hinzusehen, auch um zu vermeiden, dass man sich allzu schwelgerisch in „die Malerei“ fallen lässt und sich keine Erkenntnis ermöglichende Distanz einstellt.

Vermutlich hat das auch mit der philosophischen Profession zu tun. Dort gehört eine klare und systematische Analyse der eigenen Vorstellungen zum Handwerk. In der Philosophie würde man aber eher eine objektive, als solche mitteilbare Analyse anstreben. Wenn ich male, geht es im Bild darum, eine Form für Vorstellungen zu finden, die nicht in objektiver Mitteilbarkeit aufgehen, trotzdem aber für Betrachter:innen anschlussfähig sind für eigene Reflexionen – vielleicht gerade, weil sie in Teilen unvertraut sind. Sie sollen aber keinesfalls hermetisch oder esoterisch sein.

Meine Arbeiten öffnen sich über die stärkere Einbeziehung von Aspekten, die öffentlich und nicht „privatmythologisch“ sind, spätestens seit der Serie „The Missing Kink“ von 2014/15 deutlicher gegenüber Betrachter:innen. Wahrscheinlich waren in den gut 15 Jahren zuvor die stärker auf die eigene Nahwelt bezogenen Aspekte dominanter, wenn auch nicht allein prägend.

Das schafft mehr Anknüpfungspunkte für Betrachter:innen. Trotzdem bleibt die Wahrscheinlichkeit, dass meine Bilder nun Publikumsrenner werden, eher gering. Sie stehen möglicherweise zu sehr quer zu dem, was gegenwärtig als Kunst Beachtung und Anklang findet.

Wolfgang Ullrich: Ich glaube ja, dass es allein die Komplexität der Referenzen Ihrer Bilder ist, was verhindert, dass diese Publikumsrenner sind. Was Malweisen anbelangt, ist man heute ja sehr tolerant, alle Streits über Gegenständlichkeit und Abstraktion, über realistische und nicht-realistische Darstellungen gehören der Vergangenheit an.

Sie fänden also nicht mehr Anklang, wenn Sie expressionistisch oder surrealistisch malen würden. Aber wenn Sie das Einzugsgebiet Ihrer Referenzen einschränken würden, sich also z.B. nur noch auf christliche Motive oder nur noch auf Stoff aus dem Populärkino bezögen, dann hätten Sie vermutlich schnell ‘Groupies’, die sich freuen, von Ihnen in ihrer eigenen Bildung angesprochen und herausgefordert zu werden.

Dass Sie einer solchen Versuchung widerstehen, spricht für Sie, denn natürlich sind Ihre Arbeiten interessanter und eigener, gerade weil sie jene Komplexität aufweisen. Vielleicht müsste man diese nur stärker als solche zum Thema machen. Sie sollten daher exemplarisch mal mit offenen Karten spielen und darlegen, was Sie zu einzelnen Motiven veranlasst hat. Sie brauchen das gar nicht für alle Elemente von “Genius Loki” zu tun, aber für ein oder zwei der Bilder. Ich bin mir sicher: die Zahl derer, die Ihre Kunst schätzen, wird sofort steigen!

René Schoemakers: Ich will mich dem nicht verschließen und im Katalog einmal die Karten aufdecken…

In Einzelgesprächen und in den erwähnten Veranstaltungsformaten habe ich immer wieder über meine Arbeiten gesprochen. Andererseits hat es Goethes nur halb zitiertes „Bilde Künstler, rede nicht!“ sogar in die T-Shirt- und Accessoire-Shops des Internets geschafft. Angenehm überrascht war ich dagegen von der sehr detaillierten Interpretation meiner Arbeit in der Laudatio zum Wilhelm Morgner Preis im letzten Jahr als eine Art dekonstruktive Neubestimmung der Historienmalerei. Da ging mir schon etwas wie „Geht doch!“ durch den Kopf.

Auch, weil über die Jahre oft sehr oberflächliche bis stumpfsinnige Äußerungen dominierten. Mal war ich „der Maler, die immer seine Frau malt“ und dann auch noch obendrein zwielichtig, weil die Darstellung des unbekleideten Körpers einigen verdächtig schien, traditionelle Rollenbilder von „Maler und Muse“ fortzuschreiben. Dabei tauche ich als männliches Modell ebenso unbekleidet auf, weil ich den Körper als unmittelbares Ausdrucksmittel nutze und jede Form von Kleidung im Bild sich für mich inhaltlich legitimieren muss. „Bekleidet“ muss sich nicht weniger legitimieren als „unbekleidet“. In dem Zusammenhang fand ich es erfreulich, dass ich 2018 und 2019 von Kuratorinnen zu ausdrücklich feministisch konzipierten Ausstellungen eingeladen wurde.

Ich will Ihrem Optimismus, was die Offenheit für alle möglichen Spielarten figurativer Malerei betrifft, nicht grundsätzlich widersprechen. Tatsächlich war die Geringschätzung während meiner Zeit an der Kunsthochschule deutlich größer. Aber meine Verwendung der Malerei ist vielen doch suspekt.

Es ist eher so, dass Malerei gegenwärtig dann vor allem Zustimmung findet, wenn sie sich als Medium opak macht, also als Malerei signalisiert, Malerei zu sein. Das hat zur flächendeckenden Etablierung von malerischen Manierismen in der figurativen Malerei geführt: Farbnasen, durch Farbsäume freigestellte Motive, offen gelassene Bereiche usw.

Das suggeriert nicht nur künstlerische Souveränität gegenüber dem Medium, es schafft auch Leerstellen, wo Betrachter:innen einhaken können. Das Exponieren der malerischen Faktur ermöglicht eine schnellere Identifikation.

Vielleicht betone ich das auch nur, um ex negativo zu beschreiben, was auf der Ebene der Malerei den Zugang bei mir erschwert.

Wolfgang Ullrich: Ich finde es sehr gut, dass Sie zumindest mal für eines der Bilder der Serie die Karten aufdecken! Was man beim Betrachten schon ahnen mag, wird so eindrucksvoll bestätigt: Kein noch so kleines Element hat nicht mindestens eine Bedeutung.

Was Sie machen, erinnert mich dabei nicht einmal nur an Formen einstiger Hochkultur, sondern noch mehr an Spielarten heutiger Popkultur. Man denke hier vor allem an Musikvideos. Auch da hat ja jedes Element, selbst wenn es nur für Sekundenbruchteile zu sehen ist, eine Bedeutung. Die vielen verschlüsselten Elemente aber sind vor allem an Fans adressiert. Denen will man genügend Stoff zum Spekulieren, Recherchieren, Diskutieren geben, ja man will sie bei Laune halten, ihnen die Chance auf Erfolgserlebnisse bereiten. Insofern sind Ihre Bilder eigentlich auch für eine potenziell große Community an Fans angelegt – mehr als für herkömmliche Rezipient:innen, die Erbauung oder eine klare, schnell als solche erkennbare Botschaft suchen.

Im Übrigen finde ich viele der Elemente ganz großartig – und auch witzig. Was für eine Idee, eine Knetmaschine als Dingobjekt für künstlerische Tätigkeit zu wählen! Und dann noch eine Knetmaschine für Kinder! Als Künstler wollen Sie offenbar gar nicht beanspruchen, alles selbst, aus sich heraus, zu machen, vielmehr nehmen Sie gerne technische Hilfen in Anspruch. Radikale Autonomie ist also nicht das Ziel, sondern eher eine Bündelung von Fertigkeiten und Möglichkeiten. Zugleich wollen Sie als Künstler so naiv, unschuldig, frei sein wie Kinder bei ihrem Spiel. Ja, Kunst sollte für Sie offenbar eine spielerische Dimension haben. Das ist ein bewährter Topos, aber eben mit Ihrem Dingsymbol ganz neu begründet und codiert.

So könnte man nun jedes Element durchgehen, das würde riesigen Spaß machen. Auf keinen Fall wird durch das Offenlegen von Bedeutungen etwas entzaubert oder ernüchtert. Im Gegenteil. Eigentlich würde ich mir eine Ausstellung wünschen, in der neben jedem Bild eine Erklärtafel hängt – oder man per QR-Code mit einer App alle erklärenden Informationen hinzuholen kann.

René Schoemakers: Nun, theoretisch könnte man tatsächlich jeweils Informationen in der Ausstellung beigeben. Allerdings wäre das vielleicht insgesamt doch überfordernd und auch ästhetisch nicht immer leicht zu lösen. Vor allem aber ist meine Vorstellung eher so, dass zunächst jeder selbst, gänzlich unbelastet vor allem genau hinsehen soll. Deshalb ist es bei meinen Einzelausstellungen Regel, dass es zunächst keinerlei Beschriftung gibt. Vor allem Museen tun sich da schwer. Im Museum Angerlehner war es so, dass nach einigen Tagen der Druck der Besucher:innen zu groß wurde, die ihre gewohnte Beschilderung neben den Bildern haben wollten.

Es war nicht so, dass diese verweigert wurde. Es gab in jedem Raum am Eingang Flyer mit den Angaben zu allen Bildern, die man sonst auf der Beschilderung findet. Und vor allem einen QR-Code, der zu einer Microsite zur Ausstellung führte, die weiterführende Angaben enthielt. Man konnte also in der Ausstellung tiefer einsteigen und das Ganze auch nach der Ausstellung noch zuhause nachverfolgen. Der Charme dieser Lösung besteht darin, dass von kompletter Nichtbeachtung bis hin zu vertiefter Recherche alles möglich ist, ganz wie man es will. Aber niemand wird vor dem Bild zu etwas genötigt. Trotzdem ist damals das Museum eingeknickt und hat Beschriftungen nachträglich angebracht.

Nach dem Muster habe ich die „Cranach Suite“ im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum gestaltet sowie die beiden großen retrospektiven Ausstellungen im Museum Angerlehner und im Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund. Und das waren jeweils 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.

Was die Knetmaschine angeht – das ist natürlich eine ironische Selbstverkleinerung des Künstlers. Andererseits aber auch ein Hinweis darauf, dass Stoff und Form auch kreative Grundparameter beim Kneten sind. Hylemorphismus im Kinderzimmer, aristotelische Metaphysik und Schöpfertum an der Knetmaschine, wo es vorgeprägte Formen gibt, aber auch die Möglichkeit frei zu kombinieren und zu formen. Der Künstler ALS Knetmaschine… Insofern halte ich es mit Hofmannsthal „Die Tiefe muss man verstecken. Wo? An der Oberfläche.“